Reisen sollte nur ein Mensch,
der sich ständig überraschen lassen will
. (Graf 1894-1967)

 

Wer schreitet durch dunkle Nacht und eisigen Wind?
Es sind Beat und Dany mit ihren SAC-Kind.
Sie halten den spitzen Pickel in ihrem Arm.
Fassen ihn sicher, auch wenn es gar nicht ist warm.
Bergsteiger, was birgst du so bange dein Gesicht?
Siehst du das wunderschöne Gebirge nicht?
Der Berg, er strahlt mit majestätischer Gestalt,
doch jetzt kommt der Wind mit fürchterlicher Gewalt…

Nachdem die Tour zweimal wegen schlechten Wetterprognosen und/oder Schneefall hatte verschoben werden müssen, sieht es für diese Tage versprechungsvoll aus. Die Tour kann stattfinden. Nach einer gemütlichen Fahrt erreichen wir Chamonix morgens. Auch Saasini staunen hier immer wieder ob der gewaltigen 4tausender. Und der höchste ist unser morgiges Ziel.

Wir schauen hoch und schlucken trocken 😉 Einige denken wohl an den Spruch: „Lebe im hier und jetzt und denke nicht an morgen». Laotse sagte: «Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt“. Mit dem Taxi erreichen wir Courmayeur und können noch einige Kilometer steil nördlich, dann westlich ins Val Veni fahren. Die Wanderung auf einer Höhe von 1700 MüM beginnt. Kritisch werden die Rucksäcke von Leuten, die selten mitgehen, betrachtet. Es ist wie im wirklichen Leben: Auch Leute mit kleinen Rucksäcken können ans Ziel kommen. Wie hat doch Tolstoi (oder wer auch immer) gesagt: «Wer eine Reise tut, der reise mit wenig Gepäck!»

    

Den Mont Blanc besteigen wir abseits der überfüllten Hütten und Menschenschlangen über eine der schönsten Routen der Alpen: Val Veni – Gonella-Hütte – Aiguilles Grises“. Je nach Verhältnissen gibt es mehrere Möglichkeiten auf der sogenannten «Miage Seite». Über den Glacier du Dôme, oder den Grat der Aiguilles Grises. Erstere wurde 1890 vom späteren Papst Pius dem XI erstmals begangen und wird daher auch die Papstroute genannt. Wir sündigen SAC’ler gehen auch diesen Weg.

Unser heutiges Ziel ist die Gonella-Hütte. Sie liegt an der Südwestkante des Aguilles Grises. Sie befindet sich an der normalen italienischen Route zum Mont Blanc und ist die einzig, welche weit weg von Bergbahnen liegt. Zuerst kommen wir ins Gebiet des Miage Sees.

Ein wild-romantisches Tal. Hier begegnen wir noch vielen wandernden Touristen. An blühenden Weidenröschen (wer kennt die nicht!) vorbei kommen wir auf eine Gletscher-Moräne des Miage-Gletschers. Aber wo ist der Gletscher? Es lässt sich nur erahnen. Er liegt bedeckt von Geröll, Schiffer und Gestein. Für einige Stunden führt unser Weg auf diesem Gletscher hinauf in Richtung Gonella-Hütte. Unterwegs liegen die schönsten Steine (auch Kristalle) auf unserem Weg. Aber der Rucksack ist voll und wer trägt schon freiwillig 2 Tage lang Steine mit sich herum, selbst wenn sie noch so schön sind. Wir sind im Mont Blanc Gebiet mit dem „gewissen Etwas“. Wir laufen am Lac-du-Miage (dahinter die Combat-Hütte), am Fuss der Aiguilles de Peuterey (4107) und des Mont du Brevillat (4013) vorbei. Westlich von uns sehen wir die Aiguilles Tré sela Tête (3816) und weit hinten sind schon die Dômes de Miage zu sehen.

Irgendwann zeigt Beat mit seinem Finger nach oben: «Da ist sie!» – «Wer, was, wo…?» die Antwort. «Die Gonella-Hütte». Wir schauen staunend hoch. Jeder frägt sich wohl still, wie wir bloss dahin kommen. Rechts der Hütte total zerklüfteter Gletscher. An eine Passage denkt niemand. Und links steile Felsen. Kommt Zeit, kommt Rat. Wir laufen weiter. Nach einer mehrstündigen Wanderung wird es Zeit den Gletscher zu verlassen. Wir setzen unsere Helme auf und nehmen einen steilen Aufstieg in Angriff. Und irgendwann heisst es dann, Sicherungsleinen montieren. Der Klettersteig beginnt. Dann plötzlich, nach Umgehung einer Felskante, steht sie da zum Greifen nah, die Gonella-Hütte. Es dauert aber noch fast eine halbe Stunde bis wir glücklich vor dem Rifugio Francesco Gonella (3071m) in der in der Ost-Flanke der Aiguilles Grises stehen. Das war bereits eine ausgewachsene Bergtour und keinesfalls ein Hüttenweg im herkömmlichen Sinn.

Und es hat einen Heliport 😉 Ich schaue auf meine Uhr. Habe ich auf dieser Höhe das Rechnen verlernt oder habe ich die ungenaue Uhr mitgenommen. Unsere Laufzeit deckt sich nicht mit der Vorgabe. Nach einem erfreulichen Blick zurück auf den Miage-Gletscher betreten wir die Hütte. Wir sind erstaunt über das gemütliche und schöne Innenleben dieser Hütte. Die Hütte wurde in den letzten Jahren neu erbaut und hat 50 Schlafplätze. Um 18h ist Nachtessen angesagt und um 20h Bettruhe. Wir sollen ja um 0h geweckt werden. Von der Hütte aus sehen wir die Sella-Hütte, die am Mont du Breuillat „klebt“. Als Nachtessen wird uns ein währschaftes Risotto, ein undefinierbares Pot au feu (heimisches Gericht?) und ein trockenes Schokolalden-Pouding aufgetischt. Das Pouding erfüllt seinen Zweck, wir haben ja morgen keine Chance, unterwegs zu ….

Und wirklich, um 0h werden wir geweckt, wie immer dann, wenn man gerade so richtig eingeschlafen ist. Wir nehmen das karge Zwieback-Frühstück ein und um 1h geht’s los. Ausser uns geht nur noch eine Zweier-Seilschaft los. Innerhalb von 10 Minuten überqueren wir verschlafen ein stotziges, schneegefülltes Couloir. Dann wird angeseilt. Bergführer Beat, Jeaninne und Brigitte; Bergführer Dani, Erna und Jolanda; Seilführer Toni, Freddy und Osci. Bergführer müsste man sein, dann bekommt man eine Dame ans Seil 😉

Wir sind auf dem Dômegletscher. Es geht jetzt für längere Zeit Schnee- und Eisfelder (bis zu 45 Grad) am Fuss des Steilhanges unter dem Col des Aiguilles Grises bergauf. Den grossen Spalten müssen wir wohl oder übel ausweichen. Der Gletscher muss ziemlich geschmolzen sein, denn die Leiter ist nicht angestützt, sie liegt flach über der Spalte. Wir kriechen über die Leiter. Es ist dunkel, so sieht man von der Leiter nicht in die Spalte hinunter.

Irgendwann stehen wir dann auf dem Piton des Italien (4002), gehen den schmalen Schnee-Grad, der die Aiguille de Bionnassay mit dem Mont Blanc verbindet und sehen weit unten die Lichter von St. Gervais. Es ist immer noch finster und man ahnt nur, wie es rechts und links nebem dem Grad aussieht. Die kurze Gratüberschreitung geht dann über in einen Schnee-Eis-Fels-Grat. Und langsam kommt er, der Wind!!! Was anfangs mit einen leicht störenden Blasen anfängt, wird zunehmend stärker. Wir beginnen auch die Kälte zu fühlen und packen uns besser ein. Der starke Wind, inzwischen wohl mit mehr als 100 km/h blasend, macht uns zunehmend zu schaffen. Die Bergführer ermutigen uns damit, dass wir uns dann im Vallot Biwak von den Strapazen erholen und neue Kraft tanken können. „Gring abe u düre“ – wir erreichen den Dôme du Goûter (4304).

Es wird heller und eine traumhafte Aussicht entschädigt uns für unsere Anstrengungen. Weiter unten sehen wir die endlos lange Lichterkolonne der Bergsteiger, die von der Goûter-Hütte zum Mont Blanc unterwegs ist. Nachdem wir ein langes Schnee-/Gletscherfeld rund 100 Höhenmeter hinuntergelaufen sind, müssen wir uns in diese Lichterkette einreihen. Drei Schritte vor, 2 Takte Pause. Und oben steht das Vallot Biwak und wartet, aber nicht nur auf uns. Wir sind froh, das Biwak zu erreichen, haben uns aber zu früh gefreut. Wir stehen vor dem Biwak und können nicht hinein. Was ist los? Es kommen immer wieder in paar Leute raus und ein paar können rein. Wir warten, geniessen die aufgehende Sonne und erfrieren fast. Danis fühlt seinOhrläppli nicht mehr. Wenn bloss der kalte Wind nicht wäre. Dann ist es endlich soweit, wir dürfen in das Biwak. Und dann wird es uns klar vor den Augen. Im Biwak befinden sich 50-60 Leute; Bergsteiger, die wie wir Zuflucht gefunden haben und Bergsteiger aus Osteuropa, die wohl dort übernachtet haben. Wir warten darauf, dass der Wind nachlässt. Es ist inzwischen wohl 7h geworden. Unsere Bergführer treffen den vernünftigen Entscheid abzusteigen. Bei dem Wind ist ein Hochsteigen fast unmöglich und es erwartet uns ein langer Abstieg. Bis zum Dôme du Goûter pfeifft uns ein eisiger Wind um die Ohren. Von dort schauen wir wehmütig zurück auf den Gipfel des Mont Blanc. Auf unserer Route ist niemand zum Gipfel unterwegs. Schade, aber….

In einem schönen Abstieg auf Schnee und Eis erreichen wir die Goûter-Hütte. Unverbesserliche Optimisten wie ich haben sich schon ausgemalt, dass von Chamonix aus auf jede Hütte/Berg eine Seilbahn führt und dass wir von dort aus abfahren können. Es kommt immer anders als man denkt. In der Goûter-Hütte angekommens sehen wir den Klettersteig, den wir noch hinuntersteigen müssen. In der Hütte gibts „grossen Whisky aus der kleinen Flasche“. Ich dachte, die anderen haben auch gute Ideen. Wer zu schnell war, muss wieder die Steigeisen montieren. Die Führer bringen uns sicher über den vereisten Klettersteig hinunter. Jetzt wartet noch ein Dessert. Die Russisches-Roulette-Leinen über ein Couloir. Wir auf dieser Seite, Dani auf der anderen Seite, gemeinsam schätzen wir die Lage ab, spurten und durchqueren alle einzeln möglichst schnell an der Leine ohne Schaden zu nehmen das Couloir. Aufatmen! Ein Tunnel zur Umgehung dieses Couloirs ist geplant (kein Witz).

Weiter unten nehmen wir dann die Seile und die Steigeisen ab. Unterwegs gönnen wir uns nochmals eine Pause. Glücklich erreichen wir dann die Station Nid d’Aigle. Von dort aus gehts nach einer längeren Wartepause mit einem Bähnli zum Bellvue beim Col de Voxa und von dort aus mit einer Luftseilbahn nach Les Houches.

In Chamonix ein letzter Blick zurück auf den Mont Blanc. Kommen wir wieder? …… Ich nur mit Skis, dann bleibt mir der Abstieg erspart.

Mit Glace und Bier in Les Houches und gemeinsamem Essen im Relais St. Bernhard klingt eine sehr schöne Tour aus.

„Es gibt kein sicheres Mittel festzustellen, ob man einen Menschen mag oder nicht, als mit ihm auf Reisen zu gehen (Mark Twain)“. Nach dieser «Reise» kann ich zufrieden feststellen: ich war mit tollen Leuten unterwegs. Vielen Dank an alle! Einen speziellen Dank an die Berg- und Seilführer, die uns sicher hoch und runter gebracht haben!

Osci

Tourenleiter Beat Burgener
Bergführer Beat Burgener
Seilführer Dani Stoffel, Toni Sarbach
Bericht Osci Supersaxo
Fotos Toni Sarbach, Brigitte Petrus, Feddy Meichtry
Teilnehmer Beat Burgener, Dani Stoffel, Erna & Toni Sarbach, Brigitte Petrus, Jeaninne Petrus, Jolanda Lorenzi, Feddy Meichtry und Osci Supersaxo