Vom variantenreichen Blau und bizarren Eisformen

Es ist bitterkalt im tiefverschneiten Val d’Anniviers. Die Sonne hat es noch nicht über die Bergspitzen geschafft. Bis die ersten wärmenden Strahlen den Talgrund erreichen vergehen noch Stunden. Natürlich bin ich gespannt ob wir die Gletschergrotte am Fuss des Glacier de Zinal finden werden. Manchmal muss man den Eingang freischaufeln, manchmal versteckt er sich unter einer tiefen Schneedecke.

Was sich bei normalen Temperaturen als ein eher gemütlicher Ausflug erweist, entpuppt sich bei der herrschenden Kälte und der erbarmungslosen Bise als eine echte Herausforderung. Trotzdem sind wir nicht allein unterwegs. Eine Gruppe Eiskletterer ist ebenfalls aufgebrochen um die schönen Eiswände links und rechts entlang unserer Route zu erklimmen.

Vorbei an der gurgelnden Navizence, dem mächtigen Weisshorn erreichen wir auf einer Höhe von 2050 Meter das Gletschertor. Ich bin erst mal erleichtert dieses überhaupt gefunden zu haben. Entgegen meinen Erwartungen präsentiert es sich jedoch mächtig und imposant, alles in allem vielleicht 10 Meter hoch. Fast gleichzeitig mit uns, hat endlich auch die Sonne diesen Flecken Erde erreicht.

Im Innern des Gletschers bestaunen wir das variantenreiche Blau, das diffuse Licht, den glasklaren Bach mit all seinen bizarren Eisformen, die Millionen Bläschen im Eis, welche bis zu 400 Jahre alt sein sollen.

Irgendwo habe ich gelesen, dass es im Innern des Gletschers konstant sechs Grad „warm“ ist. Eine richtige Wohltat bei der Saukälte. So haben wir alle Zeit der Welt dieses Wunder der Natur zu bewundern, zu fotografieren.

Immer wieder entdecken wir Neues: in glasklares Eis eingeschlossene Schneeskulpturen, nadelförmige Schneekristalle, Luft- und Wassertaschen verpackt in einen eisigen Panzer usw. Wie erwachsene Kinder vergessen wir für eine Stunde den Rest der Welt. Doch spontan kommt mir die blaue Moschee in Istanbul in den Sinn, beide geheimnisvoll, beide tief beeindruckend, beide mystisch,  beide eine Art Gotteshaus.

Auf den Rückweg verwöhnen uns dann endlich die wärmenden Sonnenstrahlen. Entgegen dem Aufstieg, wo wir mehr mit uns selber beschäftigt waren, haben wir nun Augen für  die schöne Winterlandschaft. Unser Blick fällt immer wieder auf die von der Natur geschaffenen Kunstwerke in und um die Navizence.

Auch die Gämsen liessen mich nicht im Stich. Wie in der Ausschreibung angepriesen, präsentierten sie sich entlang unserem Weg. Für sie ist es jetzt besonders hart. Was für uns ein erlebnisreicher „Sonntagssparziergang“ war, ist für sie purer Überlebenskampf.

Was mich nach dieser Tour nachdenklich stimmt ist die Tatsache, dass bereits unsere nächste Generation die imposanten Gletscher nur noch vom Hörensagen kennen könnten. So gesehen ist es doch tröstlich, wenn uns die Kälte für ein paar Tage erschaudern lässt und die Gletscher wenigstens in dieser Zeit nicht schmelzen.

Ich danke allen, die mich an diesem Sonntag begleitet haben. Geteilte Freude ist doppelte Freude.

André Zurbriggen-Burgener

Tourenleiter André Zurbriggen-Burgener
Bericht André
Fotos André
Teilnehmer Adelheid, Rita, Hilda, Manuela, André, Christian, Flavio, Rosmarie und Marlies
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