Vom Biwak «Belle Epoque», hartem Training, kalten Betten, dem Güego und guter Kameradschaft
Über das verlängerte Osterwochenende stand die 4. Etappe der Transalp auf dem Programm. Nachdem Simone, Diana, Susann und Jan im Sommer 2017 die 3. Etappe in Susa beendet haben, wollten wir dort wieder anhängen. Von der der alten Römischen Stadt aus sollte die erste Tagesetappe auf den Rocciamelone führen, wo wir im Gipfelbiwak übernachten wollten. Die aktuellen Wetterbedingungen zwangen unsere beiden Bergführer Jannik und Raphael jedoch dazu die Routenführung ein wenig anzupassen. Der neue Start wurde in Useglio angesetzt. In 5 Tagen führte sie uns über interessante Gipfel, zahlreiche Pässe und steile Abfahrten bis ins Val di Rhemes bei Aosta.
Tag 1 – Vom Sightseeing in Skischuhen, aufschlussreichen Fahrplänen, hilfsbereitem Personal und der wohl komfortabelsten Biwakübernachtung
Der erste Tag war der Anreisetag. Nach dem ich den Rucksack am Vorabend mindestens 3 mal neu gepackt und immer wieder mehr aussortiert habe, musste ich am morgen früh auf dem Bahnhof in Brig als Frischling doch merken, dass ich im Vergleich zu den andern wohl ein Bisschen zu schwer unterwegs war. Um uns ideal auf Italien einzustimmen, hat uns die SBB schon in Wallis ein paar Stolpersteine gelegt. Die Züge zwischen Visp und Brig fuhren nicht und auch der Zug nach Mailand war verspätet. Beim ersten Zwischenhalt in Mailand hat dies jedoch auch nicht wirklich geholfen. Der Anschlusszug nach Turin hatte unbestimmte Verspätung und auf welchem Gleis er fahren würde, konnte uns auch niemand sagen. Als Entschädigung fuhr er dann aber mit über 290 km/h. Nun wurde es richtig interessant. Der Anschlusszug in Turin fuhr ab einem Provinzbahnhof am Rande der Stadt. Und da dieser nicht vom selben Bahnunternehmen war, konnte uns niemand sagen, wie wir dort hin kommen. Google sei Dank, nahmen wir einen Linien Bus durch Turin, welcher uns an Denkmälern und dem grossen Markt vorbei bis zum neuen Bahnhof fuhr. Die grössten Attraktionen konnten nicht wir durch die Fenster des Busses betrachten, denn die waren für die anderen Passagiere. In unserer kompletten Ausrüstung und in Skischuhen haben wir für die Einheimischen sehr belustigend gewirkt.
Auch das nächste Umsteigen auf den letzten Bus gestaltete sich schwieriger, als es wir uns aus der Schweiz gewöhnt sind. Der Fahrplan konnte nur schwer Interpretiert werden und jeder der Herren vom Bahnschalter sagten etwas anderes. Als der Bus dann schlussendlich wirklich kam, musste er zurück zum Werkhof gegen einen Grösseren ausgetauscht werden, so dass auch alle Platz hatten.
In Useglio angekommen, wurden wir dann aber für die Strapazen entschädigt. Der Bus hielt direkt vor unserer Unterkunft. Anstatt eine Nacht im Biwak Rocciamelone zu verbringen, konnten wir im «Grande Albergo Rocciamelone» gastieren. Mit seinem grossen Saal, den hohen Decken, den schönen Kristallleuchtern und der ganzen Ausstattung hat das alte, aber gut gepflegte Hotel einen ganz speziellen Charme. Auch der Gastgeber war sehr freundlich. Er organisierte uns direkt die Weiterfahrt am nächsten Morgen und rief 2 Einheimische an, die die Routen kannten, welche wir nehmen wollten und sie konnten uns allgemeine Infos zum Schnee und der Sicherheit geben.
Das Abendessen gab’s im grossen Speisesaal, welcher ganz in weiss gedeckt war. Auch der Gastgeber hat sich für seine einzigen Gäste in Schale geworfen und servierte uns ein feines Menü mit 4 Gängen. Das war doch mal ein Start….
Tag 2 – Von den «due Rocche», tödlichen Strommasten und Steinböcken
Mit dem Pick-up wurden wir 4 km vom Hotel bis an das Ende der geräumten Strassen gefahren, wo wir unsere Skis anzogen und losliefen. Eine gemächlich steigende Route führte uns an alten Häusern vorbei bis zu einer kleinen Schlucht. Diese wurde uns am Vorabend von den Einheimischen als «le due rocche» beschrieben. Nachdem er gefühlt zum hundertsten Mal «le due rocche» gesagt hat, konnten wir uns aber immer noch nichts darunter vorstellen. Es klang alles ein Bisschen bedrohlicher, als es dann effektiv war. Vom Eingang der Schlucht bis zum Staudamm Malciaussia führte uns eine sehr interessante und abwechslungsreiche Routenführung vorbei an gut erhaltenen Ruinen, Strommasten welche durch ihre Beschriftungen bedrohlicher wirkten, als sie in Wirklichkeit sind und dem kleinen Bach. Der kleine Bach und das hüglige Gelände brachte uns schon zu Beginn in wackeln, was wir natürlich gekonnt und ohne Stürzte meistern konnten ;-).
Am Ende des Stausees ist ein malerisches Dörfchen eng an die Felswand gebaut. Dieses ist im Winter nur von den Steinböcken, welche über den Dächern an den Wänden klettern bewohnt. Ab hier wurde das Gelände wilder. In bestem Wetter führten uns Jannik und Raphael hoch zum Col de l’Autaret.
Nach einer kurzen Pause nahmen wir unsere erste Abfahrt in Angriff. Leider hat sich die Sicht ein wenig verschlechtert und die Konturen waren nur schwer erkennbar. Doch zu aller Überraschung war es eine geniale Pulver-Abfahrt in ein Seitental. Von hier an ging es über eine sich fast unendlich anfühlende flache Abfahrt und einen kurzen Gegenanstieg zur Revuge d’Avérole.
In der Hütte angekommen, machten wir uns daran aus den nassen Sachen zukommen, diese zu trocknen und uns selber aufzuwärmen. Letzteres konnten wir im Aufenthaltsraum auf einem kuschligen Sofa machen, welches wir direkt in Beschlag nahmen. Später eintreffende Geste haben uns neidische Blicke zugeworfen.
Die Hütte war gut ausgerüstet, charmant geführt und das Essen war gut. Besonders die kleinen Küchlein die wir zwischendurch assen. Leider war es ausserhalb des Aufenthaltsraums «ars..-kalt», so dass die Schuhe nur schwer trockneten und man gut eingepackt zu Bett musste.
Doch zunächst musste die Tradition der unanständigen Witze von Osci und Theo weitergeführt werden, was auch fast alle zum Lachen brachte…
Tag 3 – Vom Training, weiteren Witzen und dem Albatros
Auf Grund der Wettervorhersagen haben die beiden Bergführer entschieden, dass wir nur eine kurze Tagestour machen und am Abend wieder in der gleichen Hütte schlafen. Erst am folgenden Tag würden wir die Alpenüberschreitung mit der Besteigung des Alberon fortsetzen.
In Wechselhaften, leicht stürmischem Wetter stiegen wir zum Col d’Arnès auf. Zuoberst angekommen sahs danach aus, als ob es aufreissen würde und wir eine schöne Abfahrt geniessen können. Leider haben wir uns zu früh gefreut. Die Schneeverhältnisse wären gut gewesen, die Sicht war jedoch schlecht und man musste sich auf sein Gespür und die Beine verlassen.
Den letzten Teil der Abfahrt probierten Francine, Sandra und Vedrana am Seil zu Fahren um sich auf die Patrouille des Glaciers vorzubereiten. Jannik und Raphael nahmen sie noch mit ans Seil, um es vorzuzeigen. Klappte doch ziemlich gut, so für einen ersten Versuch…
Der 2. Teil des Tages stand dann für einen Teil der Gruppe wieder im Zeichen der Patrouille. Jeder der noch wollte, ging noch einmal trainings-halber rauf. Doch nach über insgesamt 2000 Höhenmeter gaben sich alle dem Wetter geschlagen und es ging zurück zur Hütte. Die Sicht auf der 2. Abfahrt war noch einmal schlechter als bei der ersten.
Da es niemand solange wie wir auf dem Berg ausgehalten hat, mussten wir die warme Sofaecke leider an eine andere Gruppe abtreten.
Den Abend liessen wir wieder gemütlich mit ein paar Witzen ausklingen. Jannik und Raphael informierten uns über die nächste Etappe, welche mit dem Alberon einen der Höhepunkte der diesjährigen Transalp beinhaltete. Da auch die Bergführer menschlich sind und zwischendurch eine schwache Phase haben, wurde aus dem Alberon bald einmal der Albatros, welcher einen fürchterlichen Ohrwurm eines noch grässlicheren Trance-Liedes mit sich brachte und uns bis zum Schluss verfolgen sollte…
Tag 4 – Von abwechslungsreichem Bergsteigen, Gegenaufstiegen und guten Düften
Die Bergführer haben sich richtig entschieden, dass wir die Etappe um einen Tag geschoben haben. Bei blauem Himmel und strahlender Sonne konnten wir den Aufstieg zum Alberon in Angriff nehmen. Es wurde sogar so warm, dass sich Raphael eine wohltuende Schneedusche gönnen konnte.
Der Aufstieg gestaltete sich sehr abwechslungsreich. Zu Beginn stieg die Route gemächlich über hügliges Gebiet bis zum Fuss des Berges, wo die Flanken steil hinauf führten, so dass wir die Skier auf den Rücken banden und einen Teil zu Fuss aufstiegen.
Der letzte Teil zum Gipfel beinhaltete eine schöne Kletterei hoch zum Gipfel, welche mit Fixseilen, welche jedoch keinen sicheren Eindruck machten, und Eisentritten gesichert war. Oben auf dem Gipfel hatte man einen sehr weiten Ausblick in alle Richtungen, welcher leider durch die aufziehenden Wolken getrübt wurde.
Der Abstieg starte wiederum mit einer spannenden und schönen Gradüberquerung. Im Joch angekommen, war die Sicht jedoch leider wieder so schlecht, dass die Abfahrt wiederum nicht vollumfänglich genossen werden konnte. Die ersten paar Meter liessen wir uns am Seil geführt hinunter. Von hier an fuhren wir über den Gletscher runter in Richtung Refuge das Évettes.
Am Fusse eines schönen Hanges stand die ganze Gruppe und bestaunte Simone’s Schwünge. Konzentriert und bemüht mit der Sicht zu Recht zu kommen, hörte sie Raphael’s Warnrufe nicht und machte ihren letzten Schwung ins Leere und fiel 2-3 Meter vom Rand einer Wechte. Glücklicherweise war der Schnee sehr weich und es hatte genügend davon, so dass sie sich nicht verletzte.
Zum krönenden Abschluss der Tagesetappe gab‘s dann auch wieder die 100m Gegenaufstieg – Kaffee und Kuchen muss ja auch verdient werden.
Die Hütte war sehr gut besetzt und hatte einen gewärmten Vorraum, welcher zum trocknen der Schuhe und Kleider benützt wurde. Mit so vielen Leuten kommen auch sehr vielen verschiedene Düfte mit sich. Für uns war es nun der dritte Tag ohne fliessend Wasser, so dass wir wohl auch ein paar Aromen beisteuerten.
Tag 5 – Von Pässen, «Grand Bon» und dem Güego
Unser nächstes Ziel war die Refuge du Carro. Um dort hinzukommen mussten wir 3 Pässe bewältigen. Wir freuten uns auf diese Etappe, da von den Führern gutes Wetter angesagt wurde, oder wer weiss, was sie unter «Grand Bon» verstehen. Denn das Wetter schien am morgen früh alles andere als besonders einladend. Bei der Hütte bliess ein stürmischer Wind, welcher uns zur Eile antrieb. Doch schon 100m unterhalb der Hütte, wo wir anfellen konnten, waren wir ein wenig windgeschützt. Der erste Aufstieg zum Col du Grand Méan gestaltete sich sehr abwechslungsreich und zum grossen Teil windgeschützt. Ein paar Mal konnten wir sogar blaue Flecken und eine leicht durchdrückende Sonne erkennen, was Jannik damit quittierte, das er uns ja gesagt habe, es sei «Grand Bon». Auf dem Pass türmten sich die Schneemassen in überwältigenden Wechten.
Der zweite Pass, den Col du Trièves, wurde uns praktisch geschenkt. Über den Glacier du Mulinet konnten wir leicht abfahren und mussten nur einen kurzen Gegenanstieg von 10 Metern bewältigen. Da die Sicht sehr schlecht war fuhren die beiden Bergführer angeseilt und sehr langsam abtastend vorweg.
Auf der anderen Seite erwartete uns dann eine wunderschöne Abfahrt, die im untersten Teil einen steilen Hang mit guten Schneeverhältnissen hatte. Und endlich zeigte sich auch Petrus ein Bisschen von seiner freundlichen Seite und schenkte uns ein paar Sonnenstrahlen.
Der dritte und letzte Pass für diese Etappe war der Col des Pariottes. Um die letzten Reserven heraus zu holen, wollte sich Sandra mitten im Aufstieg verpflegen, doch da der Gel leicht gefroren war, gabs schlussendlich einen klebrigen BH als Motivationsspritze schnell zur Hütte zu gelangen. Vom Pass ging es dann auch gleich runter zur Hütte, welche natürlich wiederum nur über einen Gegenaufstieg erreichbar war.
Die Hütte war sehr freundlich geführt und das Essen war wie jeden Tag sehr fein. Doch die Infrastruktur, war bislang die schlechteste. Zum Trocknen hatte es nur den Speisesaal, welcher aber eigentlich erst nach dem Essen umfunktioniert werden sollte, was aber von niemandem befolgt wurde.
Nach einem kurzen Nachmittagsschlaf, musste ich merken, dass mein Magen nicht so richtig mitmachen will und befürchtete schon, dass der berühmt-berüchtigte Güego vom letzten Jahr nun mich erwischt hat. Wir konnten jedoch unseren letzten Hüttenabend geniessen und zum Ostermahl zusammen anstossen, auch wenn ich mich von Zeit zu Zeit ziemlich konzentrieren und tief durchatmen musste, so dass es mir den Magen nicht komplett drehte.
Tag 6 – Vom Vollmond, engen Schluchten und der lang ersehnten Dusche
Der letzte Tag sollte noch einmal ein sehr lang werden, aber brachte ein paar schöne Höhepunkte mit sich. Früh am morgen gings mit der Stirnlampe ausgerüstet und tatkräftiger Unterstützung des Vollmondes los. Nach einer kleinen Abfahrt, die wir mit den Fellen auf den Skis bewältigten, stiegen wir hoch zum ersten Pass, dem Col des Reys und in den Sonnenaufgang hinein, welcher uns ein schönes Morgenrot schenkte. Da war es, das «Grand Bon».
Bei der ersten Rast konnten wir einen Grossteil der zurückgelegten Strecke der letzten Tage überblicken. Es war ein überwältigender Ausblick. Zugleich konnten wir Tina hier zu ihrem Geburtstag gratulieren und sangen ihr ein kleines Geburtstagsständchen.
Der Col des Reys trennt zwei komplett unterschiedliche Welten. Hinter uns die wilde Bergwelt, welche wir in den letzten Tagen aus eigener Kraft überschritten haben. Vor uns lag das gigantische Skigebiet von Val-d’Isère, welches sich über mehrere Talkessel ausbreitet.
Wir überquerten bei der Abfahrt ein kurzes Stück der Pisten und gelangen zum Col de Pers. Von hier konnten wir eine schöne Abfahrt, welche in einer engen Schlucht endete, geniessen. Besonders der letzte Teil, bei welchem wir in der Schlucht talaufwärts fuhren, bot ein eindrückliches Erlebnis.
Der letzte Aufstieg zum Col du Rhêmes-Calabre wurde nach einer ausgiebigen Verpflegungspause in Angriff genommen. Der Güego gab auch endlich auf und ich konnte wieder etwas essen, was für den langen Aufstieg auch nötig war.
Das lange angepriesene «Grand Bon» zeigte sich nun aber wirklich und liess uns an der steilen Flanke so richtig ins schwitzen kommen. Auch die Felle klagten über den warmen und nassen Schnee. Das letzte Stück führte uns nahe an den steilen Südhängen der Pointe de Bazel vorbei. Die kleinen Nassschneelawinen, welche vom Berg hinunter tosten, klangen bedrohlich, stellten aber keine Gefahr für uns dar. Unsere beiden Bergführer führten uns gekonnt bis zum Pass. Obwohl auch Jannik einmal kurz ein paar schnelle Schritte weg von der Wand machte.
Auf dem Pass angekommen entschieden wir uns dafür, hinunter in Val di Rhêmes zu fahren und nicht noch ins benachbarte Valgrinsenche weiter zu gehen. Die Temperaturen waren hoch und wir auch nicht ganz unglücklich, nach den letzten sehr langen Tagen einen gelungen Abschluss zu machen.
Die Abfahrt gestaltete sich sehr abwechslungsreich mit steilen und flachen Partien. Die flachen kamen vor allem am Schluss, so dass wir auch noch ein kleines Training für unsere Arme absolvieren konnten. Das letzte Stück führte im Talgrund hinaus bis nach Bruil, wo das Taxi auf uns wartete, welches uns nach Martinach bringen sollte. Doch zunächst musste das Taxi auf uns warten, denn ein oder zwei kühle Bierchen und ein Focaccia hatten wir uns wirklich verdient.
In Martinach stiegen wir in den Zug, von wo aus sich unsere Wege langsam wieder trennten. Alle waren froh, aus den Schuhen zu kommen, die stinkenden Sachen auszuziehen und eine lange, sehr lange Dusche zu geniessen…
Danke an Raphael und Janik für die unvergessliche Woche und eure hervorragende Arbeit. Auch allen Teilnehmern ein grosses Dankeschön. Es war genial und ich freue mich schon auf nächstes Jahr.
Claudio