Geheimnisse am Sirwoltesee
Nun ja, wie verfasst man einen Tourenbericht, wenn anstatt der vorgesehenen 1500 Höhenmeter nur 500 erklommen werden? Wenn die eigene Freundin in dieser schwierigen Situation weiterzieht, den Freund zurücklässt und nach nur knapp 1000 Höhenmetern ebenfalls scheitert? Sodann der verlorene Freund im Dickicht zwischen Engeloch und Simplon Dorf eine Spur sucht, irgendeine Spur, die ihn zurück in die Zivilisation führen könnte. Und ebendort angekommen, in der hinterletzten Spelunke – zu früher Stunde notabene – auf ein Vorstandsmitglied des SAC Saas trifft. Wahrlich, solch ein Bericht schreibt sich nicht leicht. Doch genug der Einleitung.
Treffpunkt war frühmorgens in Gamsen. Viel blauer hätte der Himmel nicht mehr sein dürfen. Richtige Alpinisten brauchen schliesslich ein bisschen Dreck. «Also raus aus dem blauen Heidi-Kitsch», hat sich wohl Dominic gedacht und eine Stelle entdeckt, ein dickflüssiges Nebelungestüm sozusagen, ein Unding inmitten dieser herrlich kitschigen Bergwelt. So ging’s hoch zum Simplon, mitten hinein in die weisse Sauce.
Im Engeloch angekommen, lichtete sich das Nebelungestüm ein wenig. Dementsprechend zuversichtlich stiegen wir dem Böshorn entgegen. Beim Sirwoltersee musste ich jedoch bereits kapitulieren. Meine Felle wollten nicht haften. Als ob ich nicht bereits letztes Jahr dasselbe Missgeschick an dieser Stelle erfahren hätte. Böse Stimmen spekulierten, dass ich in Zukunft meine Felle doch nicht mehr in Domodossola im Bahnhofbuffet kaufen solle. So musste ich die Konsequenzen aus meinem Fehlern und folglich von dannen ziehen.
Stephanie ereilte einige Höhenmeter weiter dasselbe Schicksal. Vedrana, bereits bei meinen Missgeschicken hilfs- und aufopferungsbereit, entschloss sich zum gemeinsamen Abstieg mit meiner holden Dame. Somit verblieb neben dem allzeit motivierten Duo Weyermann nur noch ein letzter Gipfelstürmer: Dominic.
Was nun geschah, ist unklar und wird es wohl für immer bleiben. Ich kann nur aus meiner bescheidenen Warte erzählen. Und meine Warte endete bekanntlich nach 500 Höhenmetern. Der Weg vom Engeloch nach Simplon Dorf gestaltete sich abwechslungsreich: zwischen den Bäumen und Gräsern, Wasserleiten und Bäche überquerend, suchte ich meinen eigenen Weg. Abseits begangener Pfade sozusagen; hätten Napoleon und Stockalper nicht bereits ein wenig vorgespurt.
Diana Zurbriggen, ehemaliges Vorstandsmitglied, erblickte mich im Restaurant Post, schaute zuerst ein wenig schüchtern weg, nahm dann aber allen Mut zusammen, lief zu meinem Tisch, wo ich, alleine, betrübt, mit meinem Bierglas spielend, verdutzt gefragt wurde: «Was machst du hier? »
«Ich bin am Fusse des Böshorns gescheitert und versuche nun zu vergessen. Stephanie ist mit Verzögerung gescheitert.» «Wie viele sind somit beim Sturm auf das Böshorn verblieben? », fragte Diana bohrend weiter. «Genug der Fragerei; was machst du eigentlich zu solch früher Stunde in dieser Spelunke?» «Was soll man sonst machen nach der gelungenen Gipfelbesteigung des Böshorns – eine grossartige Tour nebenbei.» «Aha, das ist doch eine eher ungewöhnliche Ausrede für einen frühen Spelunkenbesuch», dachte ich, war jedoch sogleich aufgrund der folgenden Aussage über ihre Detailkenntnisse erstaunt. «So waren also die drei langsam aufsteigenden Tourengänger, die ich genüsslich passierte, die verbliebenen Gipfelstürmer des SAC Saas?» «So ist es gewesen.»
Mein Weg zurück ging via Domo. Das Bahnhofbuffet würdigte ich keines Blickes. Stephanie und Vedrana verkürzten derweil den Rückweg mittels Autostopp über den Simplon. Dominic gesellte sich später zu uns in Brig auf ein Bier. Er war wortkarg. Auf unsere Frage hin, ob er und das Duo Weyermann den Gipfel erklommen hätten, erwiderte er nur kurz und bruchstückhaft: vorangerückte Stunde, wenig Schnee. Stephanie und ich haben nicht weiter nachgefragt. Und so bleiben viele dieser Geschehnisse weiterhin im Unklaren. Und werden es als Geheimnisse am Sirwoltesee für immer bleiben.
Leitung | Dominic Anthamatten |
Bericht | Emanuel Borter |
Fotos | Beat, Dominic |
Teilnehmer | Emanuel, Stephanie, Vedrana, Jacqueline, Beat, Dominic |