„Yes sir, that’s my baby. No sir,…“
Sagenumwoben ist die traditionelle Grappa-Tour des SAC Saas. So ahnte ich als ausgewanderter Jura-Rampass und Neumitglied schon im Voraus, dass mich am 25.-26. Februar 2012 ein erlebnisreiches Skitourenwochenende erwartet. Die Berichterstattung dazu ist mir denn auch mehr Ehre, denn Pflicht, und getreulich will ich für die Nachwelt das Erlebte, das Erlittene, das Genossene und das Unvergessliche der Grappa-To(rt)ur 2012 hier festhalten.
Während der Wetterbericht beste Verhältnisse verspricht, mahnt die Lawinensituation zu einem frühen Aufbruch. Von hinten das Teilnehmerfeld aufrollend, treffen denn auch Tagestourenleiter Robi & Co. gerade noch rechtzeitig im „Fäld“ in Binntal ein. Schnell noch die obligate Banane verdrückend (ganz nach Popey-Rezept, der zur Stärkung vor Kraftakten allerdings eine Büchse Spinat braucht), begrüsst Robi, zusammen mit Co-Tourenleiter Hugo, pünktlich um 07.15h die muntere, erwartungsvolle und bereits abmarschbereite 17-köpfige Tourerschar. Auf geht‘s also zur Grappa-Tour 2012, zum Aufwärmen noch gemächlich, der Binna entlang Richtung Mässerbach-Aufstieg. Der durch die Wärme der letzten Tag schon merklich dezimierte Schnee, bietet in der Frische des Tages noch einen griffigen Untergrund, und die Spuren der Vorgänger erlauben einen flotten Aufstieg bis hinauf über die Waldgrenze zum Mässersee. Während zwei Wochen zuvor, bei der Tour aufs Stockhorn, noch arktische Minustemperaturen herrschten, lassen die frühlingshaften Verhältnisse schon mächtigen Aufstiegs-Durst aufkommen – und das auf der Grappa-Tour – mir schwant Böses… doch vorerst bleibt’s beim Tee.
Erster Halt und erste Stärkungspause auf 2‘100 m, wo uns die Sonne vergnügt über den Horizont entgegenblinzelt. Die wärmenden Sonnenstrahlen mobilisieren die Kräfte. Den „Manibode“ südlich liegen lassend, steigen wir durch das Couloir vom Hotäl weiter zum zweiten, diesmal namenlosen Seeli bei Pt. 2711. Robi, nach der Banane nun auch noch mit Tee gestärkt, zieht flott aus. Und obwohl Irene mehrmals vergeblich versucht ihrem Göttergatten die Zügel zu geben, zieht sich die Gruppe unweigerlich ein wenig in die Länge. Doch der Zusammenschluss erfolgt sogleich, beim zweiten Halt im Sattel, wo sich der Blick herrlich gegen Süden hinweg übers Deverotal öffnet. Berauscht (nein, nicht vom Grappa, sondern von der prächtigen Aussicht auf die Tessiner Gipfel) steigt die Stimmung.
Und während wir noch auf die noch hinaufschnaufenden Nachzügler warten, setzt German I (der Erste!) zur Melodie von Sinatras „Yes sir, that’s my baby, No sir, I don’t mean maybe, Yes sir, that’s my baby now“ bereits gutgelaunt zum ersten Schnee-Tänzchen des Tages an.
Der Wind hat auf dieser Höhe allerdings schon ordentlich angezogen. Wir beginnen ernsthaft an den beruflichen Qualifikationen der Wetter-Feen vom Fernsehen zu zweifeln, denn aus Nordwesten ziehen ungestüm mächtige Wolkentürme näher. Den Gipfel vor Augen zieht der Tourentazelwurm darum bald weiter, unter dem kleinen Schinhorn durch, bis hinauf zum Skidepot im Sattel auf 2826m. Ein kurzer Fussmarsch in sicherem Abstand zu den gewaltigen, nach Osten hängenden Schneewechten bleibt und der Tagesgipfel, das Grosse Schinhorn, ist erreicht.
Freundlicherweise mässigt sich zur Gipfelstunde auch der Nordwestwind kurz und wir geniessen den 360°-Alpenrundblick. Beim Gipfelkreuz darf jeder und jede sein Gipfelmunzi abholen. Aber nicht nur das, der Touren-Titel verpflichtet: Auch eine gesunder Schluck Moscato-Grappa darf nicht fehlen. Der von Erna auftragsgemäss hochgeschulterte Tropfen ist so gut, dass er sogar das Herz der erklärten Grappa-Skeptiker (z.B. Claude oder Jean Marc) erwärmt. Haarscharf am Unglück schrammen wir vorbei, als beim Weiterreichen der Flasche plötzlich der Zapfen zur Flasche fehlt. Ein reflexartiger Griff in den Schnee rettet uns davor, die Flasche gleich an Ort und Stelle und auf einen Zug leeren zu müssen.
Bis zum Start in die erste Abfahrt ins Valdeserta-Tal hat uns die Wolkenfront eingeholt und die Lichtverhältnisse werden schwieriger. Den kurzen Gegenanstieg zum Passo di Valdeserta (Pt.2664) schaffen wir aber noch locker. Voller Vorfreude auf die bevorstehende Abfahrt ins Oxefäld (2193m) versorgen wir die Felle zum zweiten Mal im Rucksack. Die sich verdichtenden Wolken, verdüstern das Abfahrts-Licht aber so sehr, dass unweigerlich der Verdacht diskutiert wird, einer habe seine Stromrechnung zur Beleuchtung nicht rechtzeitig bezahlt.
Noch viel heftiger wird allerdings diskutiert, wo genau die Abfahrt nun hinführen soll. Am besten wohl direkt unter das Tagesziel, die Mittlebärghütte, die eigentlich irgendwo am Gegenhang liegen müsste. In den derzeitigen Lichtverhältnissen bleibt sie allerdings (noch) unsichtbar.
Nachdem Experte 1 die Hütte eher links, Tal auswärts, nach Westen hin vermutet, und Experte 2 sich eher rechts, talauf- bzw. ostwärts orientiert, entscheidet sich die schweigende Mehrheit (ist das jetzt politisch?) schliesslich für den guten Mittelweg – nämlich einfach gerade hinunter. Der Expertenstreit flammt allerdings auch auf der Abfahrt immer wieder auf und endet schliesslich erst unten im Tal. Von dort ist zwar die Hütte noch immer nicht, aber immerhin der dazugehörige Windrad-Mast am Horizont über der Krete deutlich erkennbar.
So ist auch das Tagesziel in Sicht. Die Abfahrt durch Bruchharst und Treibschneewannen war aber ziemlich nahrhaft. Die heutigen 1900 Höhenmeter machen sich zusätzlich in der einen oder anderen Wade bemerkbar. Die Grappa-Tour wird darum kurzerhand für alle weiteren Ausgaben zur Grappa-Tortur unbenannt. Unverdrossen nehmen wir den Schlussanstieg zur Hütte trotzdem in Angriff. Die Lawinensituation mahnt zur Vorsicht und so ziehen wir Einzeln und in grösseren Abständen zur Hütte, die wir wohlbehalten alle gegen 15h erreichen.
Unter den gestrengen Blicken von Hüttenwart Roger, der aufmerksam und unnachgiebig auf die Einhaltung der Hüttenordnung achtet, richten wir uns für den gemütlichen Hüttenabend ein. Ein herrlicher Nachmittag bei Rucksackchoscht, Wurst-, Käse- und Brotplättli beginnt, jedem sein Bierchen oder einen Tropfen „Fendant“ (oder so ähnlich, gäll, Christine!) und einen flotten 6er-Jass, den selbstverständlich die Frauen (Gratulation an Regula, Irene und Margot) gewinnen. Das feine Nachtessen hebt die Stimmung, die noch besser wird, als nach dem Kaffee die Chorknaben und -mädchen die Initiative ergreifen. Gesungen wird vom Baselbiet über Courgenay bis zum Rhone-Strand, solange, bis nur noch der Wind – als Letzter – rund um die Hütte heult. Der macht‘s dafür dann die ganze Nacht.
Sobald es tagt, rüsten wir uns zum Aufbruch Richtung Ofenhorn. Irene hat auf Rat von Hüttenwart Roger die Felle die ganze Nacht auf den Ski und draussen gelassen, jetzt prüft sie gespannt, ob das Prinzip „Anfrieren statt Ankleben“ auch tatsächlich verfängt. Entscheidender als die Felle sind im ersten Tagesaufstieg jedoch weniger die Skifelle, als vielmehr die Harsch-Eisen. Die Wärme der Vortage, und der Nachtwind haben die zu querenden Hängen pickelhart werden lassen. In Crans Montana – wo gleichzeitig die Skiweltcuprennen stattfinden – würden die gleichen Verhältnisse locker als Musterbeispiel für eine griffige Weltcup-Piste durchgehen.
Hinauf geht’s Richtung Hohsandjoch, um das Ofenhorn von hinten (von Norden her über den Hohsandgletscher) zu stürmen. Schneller als wir, steigt nur noch der Talnebel die Hänge hoch. Auch der Wind zieht unvermindert an. So entscheiden die Tourenleiter das Tages-Zwischenziel Ofenhorn auf das nächste Jahr verschieben. Und stattdessen das eigentliche, bis dahin nur dem innersten Zirkel der Insider bekannte, Tourenziel anzupeilen (…nähere Erklärung folgt weiter unten…). Kaum ist der Entscheid zur Umkehr gefällt, reduziert sich die Sicht durch den aufziehenden Nebel denn auch auf wenige Meter. Als hätte er das neuste Navigationsgerät schon intus, führt uns Robi über die steilen Hänge aber sicher hinunter ins Binntal. Im „Blatt“ erreichen wir bei 2100m die Talsohle und stossen uns mit Oberarmmuskelkraft über „Stei-„ und „Masshitte“ auf ebener Fläche talauswärts. Beim „Halsesee“ durchstossen wir die Nebelgrenze nach unten und folgen über die Freichialp dem Sommerfahrweg talauswärts ins Fäld im Binntal.
Dank des Gipfelsturm-Abbruchs liegen wir „unglücklicherweise“ etwas vor dem Zeitplan was uns zu einem ausgiebigen Kaffee im Jägerstübli in Ausserbinn zwingt. Das eigentliche Tagesziel liegt aber noch vor uns (hier folgt nun also die versprochene Erklärung:)…
Denn was wäre die Grappa-To(rt)ur ohne ein ausgiebiges Sonntags-Pranzo ännet des Simplons in Varzo. Pflichtschuldig besuchen wir – wie sich das für einen Sonntag gehört – bevor wir uns zum Mittagstisch setzen noch die schöne Dorfkirche von Varzo und danken Gott dafür, dass er uns auch auf dieser Tour begleitet, und alle wieder gesund und munter im Tal ankommen lassen hat. Das Sonntagsmenu führt uns schliesslich über Antipasti, Pasta, Risotto und Lammracks, Käseteller bis zur Pannacotta mit Heidelbeeren. Die Trattoria Derna in Varzo im bereits frühlingshaften Val d’Ossola ist ein Traum! Zum Highlight natürlich Grappa!
Es bleibt zu danken. Und zwar sehr herzlich! Den Organisatoren und Tourenleiter für eine tatsächlich unvergesslich schöne Grappa-To(rt)ur 2012. Und ein Gruss ans Ofenhorn: Im nächsten Jahr kommen wir wieder.
Bärg-Gruess! Thomas
Kurzkommentar der Tourenleiter:
Wir haben unser wirkliches Ziel „Grappatour mit Mittagessen in Varzo“ nie wirklich aus den Augen verloren. Dank sei dem Nebel!
Ein Dankeschön an alle Tourenteilnehmern. Es war eine tolle Tour mit einmaliger Stimmung wie in früheren Zeiten. So macht Touren Spass. Ein Dank auch an Roger Mathieu für die Gastfreundschaft in der Mittlenberghütte. Roger ; „ solche wunderbaren Gäste habe ich leider nicht alle Tage. Der Konsum von Getränken habe ich sonst nur über eine ganze Saison hinweg“.
Robi und Hugo