«Ueli Steck» von damals
Als erster Mensch stand Matthias Zurbriggen aus Saas-Fee im Jahr 1897 auf dem 6962 Meter hohen Aconcagua in Argentinien. Heute jährt sich sein Todestag zum 100. Mal.
Die Geschichte des bei uns beinahe in Vergessenheit geratenen Bergführers Matthias Zurbriggen (1856 bis 1917) ist einzigartig. Sie erzählt von einem Pionier der damaligen Bergsteigerszene. Sie erzählt aber auch von einem Mann, der nach seinen ruhmreichen Jahren in völliger Vereinsamung und Verarmung den Freitod wählte (siehe Kasten).
In der damaligen Zeit galt der Feer als einer der bekanntesten und begehrtesten Auslandsbergführer des 19. Jahrhunderts. Unbestrittener Höhepunkt seiner Karriere: die Erstbesteigung des 6962 Meter hohen Aconcagua. Der Berg liegt in Argentinien, gilt als höchster Berg Amerikas und zählt somit zu den Seven Summits, den jeweils höchsten Bergen der sieben Kontinente.
Ein Berg am Ende der Welt
«Es ist unglaublich, was diese Männer vor über 100 Jahren an diesem Berg geleistet haben.» Beat Burgener, diplomierter Bergführer und Skilehrer, stand 2011 gemeinsam mit anderen Teilnehmern der SAC Sektion Saas auf dem knapp 7000 Meter hohen Aconcagua. «Wenn wir heute auf eine Expedition gehen, können wir auf unsere Leute vor Ort zurückgreifen. Eine E-Mail und die Sache läuft.» Der Berg in den Anden befinde sich sprichwörtlich am Ende der Welt, so Burgener. «Allein dessen Fuss zu erreichen, stellte vor über 100 Jahren eine riesige logistische Herausforderung dar.»
Zeitreise Nummer eins: Als Bergführer Matthias Zurbriggen im Winter 1896 von London aus in Richtung Südamerika aufbrach, war er Teil einer mehrköpfigen Mannschaft. Als Leiter der Expedition galt der britische Alpinist und Geldgeber Edward FitzGerald. Da das ganze Unternehmen auch Forschungszwecken dienen sollte, zählten auch ein Geologe und ein Naturwissenschaftler zu den Expeditionsmitgliedern. Hinzu kamen die von Zurbriggen ausgewählten Bergführer Nicola Lanti aus Macugnaga, die Brüder Joseph und Ludwig Pollinger sowie Joseph Lochmatter (allesamt aus St. Niklaus). Nach einer wochenlangen Schiffsreise, Dampfzugfahrten und vor allem unzähligen Kilometern hoch zu Pferd oder zu Fuss stand die Mannschaft gegen Ende Dezember schliesslich vor dem mächtigen Aconcagua.
Starke Winde und minus 25 Grad
Die Besteigung des Aconcagua gilt als alpine Hochwanderung. Eine Sicherung per Seil braucht es nicht. Trotzdem ist es alles andere als selbstverständlich, den knapp 7000 Meter hohen Gipfel zu erklimmen. Wind und Kälte sind berüchtigt. Burgener erklärt: «Viele Expeditionen scheitern, weil der Wind zu stark ist.» Und weiter: «Im letzten Lager auf 6000 Meter herrschen frühmorgens eisige Temperaturen von minus 25 Grad.» Besonders anstrengend, so Burgener, seien die letzten 200 bis 300 Meter. Die sogenannte Canaletta-Flanke sei unheimlich steil und mit felsigem Gestein übersät. «Du machst zwei Schritte vorwärts und einen zurück.»
Besteigung erst im vierten Anlauf
Zeitreise Nummer zwei: Am 23. Dezember 1896 setzte die Expedition um Matthias Zurbriggen zur Erstbesteigung des Aconcagua an. Da einige Teilnehmer Probleme mit der dünnen Luft bekundeten, musste der Versuch jedoch abgebrochen werden. Eine Woche später erfolgte der zweite Anlauf. Die Kälte setzte der Mannschaft jedoch arg zu. Die Folge: Abbruch. Auch ein dritter Versuch am 13. Januar scheiterte an den eisigen Temperaturen und starken Sturmwinden. Am 14. Januar schliesslich zeigte sich der Wettergott gnädig. Einem Erfolg schien nichts mehr im Wege zu stehen. Nur noch wenige Hundert Meter fehlten bis zum Gipfel. Expeditionsleiter FitzGerald war am Ende seiner Kräfte. Zurbriggen wollte sich den Triumph jedoch nicht mehr nehmen lassen und flehte seinen Arbeitgeber an, den Gipfel im Alleingang besteigen zu können. FitzGerald stimmt zu. Um 16.45 Uhr stand Zurbriggen allein und als erster Mensch auf dem höchsten Punkt der Anden. Zum Beweis seines Erfolges erbaute Zurbriggen einen Steinmann und steckte in diesen seine Tabakpfeife sowie den Eispickel von FitzGerald.
Bergführer Beat Burgener, der 2011 selber auf dem Aconcagua stand, sagt: «Zurbriggen war ein Pionier und sozusagen der Ueli Steck der damaligen Zeit.»
Matthias Summermatter www.1815.ch/