Von Piraten und wahren Männern
Dem Cresta Biwak muss niemand etwas vormachen wollen. Es hat gelebt, den Stürmen des Antronapasses nonchalant beigewohnt und die Wirren der Zeit dort oben stoisch ausgehockt. Von Zeit zu Zeit braucht diese alte Biwakschachtel eine neue Gasflasche, ein Paar Teebeutel oder dergleichen – mehr nicht.
Anders sieht es mit der WC-Schachtel aus. Eigentlich ein Unding. Entweder liegt diese Mimose wieder einmal wegen eines Windstösschens schief in der Landschaft oder man kommt sowieso nicht rein. Weil man zu dick ist. Dieses Scheisshaus will keine dicken Menschen in seinem Territorium. Weisst du was, du Scheisshaus, wenn es nach mir ginge – und ich bin nicht irgendwer; ich bin Capo hier oben, dein unmittelbarer Nachbar, Hüttenwart und Feind – wärst du Geschichte! Du willst mich nicht, ich will dich nicht – so einfach. Als ob ein wenig hochalpin verteilter Dünger schaden würde. Freiluftkino anstatt body shaming in dieser viel zu knapp bemessenen WC-Schachtel.
Nun denn, Samuel Anthamatten, Capo unten im Tal, ist anderer Ansicht. Als Befürworter des gepflegten WC-Erlebnisses war er nicht erfreut über die Bilder der Verwüstung, die der letzte Winter hervorgerufen hat. Die WC-Schachtel lag am Boden, aber so richtig.
Am 23. Juli 2022 nahmen sich Alex Mittner und Samuel Anthamatten der Sache an; aber so richtig: Neues Stahlseil gespannt, Scharniere gewechselt und dergleichen fachmännisches Zeugs mehr. Alex wusste schon wie. Samuel war auch zugegen. Ausserdem wurden die Bidons in die Nähe des Schneefeldes versetzt und irgendwie mit einem Wasserschlauch verbunden. Mal schauen, ob das funktioniert. Das Wetter hier oben macht bekanntlich demütig. Zu guter Letzt haben wir noch eine Piratenflagge gehisst. Richtige Biwakianer sind schliesslich Piraten.
Ansonsten nicht viel Neues vom Cresta Biwak. Ausser vielleicht dieser einen Geschichte, von welcher Alex und Samuel immerzu schwadronierten. Es sei hier oben ein Schatz versteckt, Ein Schatz voller Datteln und Schnaps. Ok, vielleicht auch ohne Datteln. Irgendwo hinter einem unscheinbaren grauen Stein sei er, der Schatz. Alex blieb bedeckt, schmallippig. Hatte wohl was mit dem ehemaligen Hüttenwart zu tun – dem Hüter des Schatzes.
So sei es denn. Ungeachtet allfälliger Piratenschätze und Schnapsgelage bleibt die Erkenntnis: Ein Besuch beim Biwak lohnt sich allemal. Sei es für die Schnapssuche oder sei es für das gepflegte WC-Erlebnis in der von wahrer Mannshand restaurierten WC-Schachtel.