Industriedesigner entwickeln eine Weste – eine umstrittene Erfindung.

Der Markt der Lawinen-Airbags entwickelt sich rasant. Vor fünf Jahren waren sie kaum bekannt und nun verkauft die Marktführerin ABS Airbag aus Deutschland gemäss Schätzungen 50 000 Stück pro Jahr. Die Nummer zwei, die Schweizer Firma Mammut, dürfte auf 30 000 kommen. Die Airbags, die mit Rucksack knapp tausend Franken kosten, könnten abseits der Pisten bald zum Standard werden. Einige Tourenanbieter erklären sie bereits zur Teilnahmevoraussetzung.

Das Prinzip ist simpel: Im Unterschied zum Airbag eines Autos wird jener der Schneeabenteurer nicht automatisch, sondern über eine Reissleine ausgelöst. Eine Kartusche oder ein Ventilator blasen einen Plastikballon auf. Dieser soll nicht etwa den Aufprall dämpfen, sondern das Lawinenopfer durch das grössere Volumen in den Schneemassen nach oben spülen.

Gemäss einer internationalen Studie, an der sich das Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung beteiligte, ist die Wirksamkeit der Airbags geringer als von den Herstellern behauptet, aber dennoch nachweisbar. Von hundert Lawinenopfern ohne Airbag sterben 22. Mit Airbags sind es 11. Ein Teil davon erstickt.

Eine Erfindung aus Basel soll nun die Mortalitätsrate weiter senken: Zwei Industriedesigner der Hochschule für Gestaltung und Kunst haben in ihrer Bachelorarbeit eine Weste entwickelt, die einen herkömmlichen Lawinen-Airbag durch einen Kragen ergänzt. Der Kragen wird im Notfall ebenfalls aufgeblasen und soll dadurch die Atemwege schützen. Zudem führt er über ein Ventil das ausgeatmete Kohlendioxid ab. Dieses kann nicht nur zu einer Vergiftung führen, sondern durch die Feuchtigkeit eine sogenannte Eismaske um das Gesicht des Verunfallten bilden. Die Airbag-Industrie versuchte dieses Problem bisher durch einen Schnorchel zu lösen, der sich als unpraktisch erwies, da er Lawinenopfer in Todesangst überfordert.

Claudio Gallasch (27) und Stefan Staub (30), die beiden Industriedesigner, hoffen ihr Produkt im Winter in zwei Jahren auf den Markt zu bringen. Sie haben drei Patente angemeldet und diese Woche die Zusage eines holländischen Investors erhalten. ABS Airbag signalisierte bereits Interesse. Bei Mammut heisst es auf Anfrage, dass man die Idee geprüft habe, deren Umsetzung aber für schwierig halte.

Die Schweizer Firma kündigt stattdessen für die nächste Saison ein neues Airbag-System an, das nur noch 1,5 Kilogramm wiege – ein halbes Kilo weniger als heutige Modelle. Nun gebe es keinen Grund mehr, auf die rettende Ausrüstung zu verzichten, wirbt Mammut.

Lawinenexperte Werner Munter widerspricht: «Je mehr Rettungsgeräte wir uns umhängen, desto eher sind wir bereit, höhere Risiken einzugehen. Wer ohne unterwegs ist, braucht seine Sinnesorgane und seinen Instinkt, ist aufmerksam und sagt auch einmal Nein.» Er finde es ausgesprochen dumm, dank Airbag sein Leben zu riskieren, sagt er auf Anfrage. Mit den einfachsten Bergregeln liessen sich drei Viertel aller Lawinenunfälle verhindern.

Die beiden Industriedesigner reagieren mit Gegenfragen: Würde Munter ohne Airbag Auto fahren? Und weshalb geriet er selber mehrmals in Lawinen?

Der Lawinenpapst antwortet: Er sei nicht in Lawinen geraten trotz Prävention, sondern weil diese damals noch nicht existierte. Seine «Vorkommnisse» hätten ihn zum Denken angeregt und weltweit zu einem Umdenken in der Lawinenkunde geführt. Und ja, er hätte am Steuerrad lieber ein Nagelbrett als einen Airbag, sagt er. Nur liesse sich damit kein Geld verdienen.